Kündigungsverbot für schwerbehinderte Arbeitnehmer? - Das sollten Sie wissen!
Die Kündigung eines Arbeitnehmers ist nie leichtfertig und ohne Bewertung des Einzelfalles vorzunehmen. Die Gesetzgebung hat hierfür klare Regelungen getroffen.
Besondere Pflichten treffen Arbeitgeber bei der Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern. Diese unterliegen, genauso wie gleichgestellte Arbeitnehmer, einem besonderen Kündigungsschutz – aber eben keinem Kündigungsverbot.
Wir erläutern in diesem Artikel u.a. die Besonderheiten des Kündigungsschutzes schwerbehinderter Mitarbeiter und geben einen Überblick über die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften.
Welche Voraussetzungen müssen bei einer Kündigung vorliegen, was ist zu beachten und wie gestaltet sich ein möglicher Kündigungsprozess.
Übersicht:
- Was bedeutet besonderer Kündigungsschutz Schwerbehinderter?
- Voraussetzungen für die Kündigung Schwerbehinderter
- Zustimmung des Integrationsamtes - zwingend notwendig?
- Die besonderen Kündigungsfristen
- Kündigung erhalten? – Was ist zu tun?
- Mitteilung der Schwerbehinderung erst nach Kündigung – Die Rechtsfolgen
- Der Kündigungsschutzprozess
- Fazit
- FAQ: Häufig gestellte Fragen
1. Was bedeutet besonderer Kündigungsschutz Schwerbehinderter?
Grundsätzlich gilt, dass auch für die Kündigung Schwerbehinderter ein personen-, verhaltens- oder betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegen muss.
Unabhängig vom Kündigungsgrund fallen Mitarbeiter dann unter den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte, wenn ein Behinderungsgrad von mindestens 50 festgestellt wurde oder eine Gleichstellung vorliegt. Der Grad der Behinderung wird entweder offiziell durch die zuständige Behörde oder durch Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit bestätigt.
Der Grad der Behinderung ist ein Hinweis darauf, wie stark die Teilhabe am Leben beeinträchtigt ist.
Schwerbehinderung bedeutet:
- Der Grad der Behinderung (GdB) beträgt mindestens 50
- Bei gleichgestellten Mitarbeitern beträgt der Grad der Behinderung 30 oder 40
- Ein amtlicher Nachweis entfällt, wenn die Einschränkung offensichtlich – auch ohne medizinisches Fachwissen – erkennbar ist
Wichtig für Sie zu wissen: Der besondere Kündigungsschutz greift nur dann, wenn die Beeinträchtigung zum Zeitpunkt der Kündigung nachgewiesen wurde.
2. Voraussetzungen für die Kündigung Schwerbehinderter
Die Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer erfordert, neben den regulären Prüfungen des Einzelfalles, einen besonderen Prozess.
Bevor eine Kündigung ausgesprochen werden kann, muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung, den Betriebsrat und das Integrationsamt einbeziehen. Die Prozessschritte sehen wie folgt aus:
- Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gem. §178 Abs. 2 SGB IX
Die Schwerbehindertenvertretung muss bei der beabsichtigten Kündigung in Kenntnis gesetzt werden und eine Stellungnahme abgeben.
- Beteiligung des Betriebsrates gem. § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Der Betriebsrat muss ebenfalls beteiligt werden und vorab eine Stellungnahme abgeben. Grundsätzlich gelten hierfür die Anhörungsfristen des Betriebsverfassungsgesetzes.
Hat die Arbeitnehmervertretung Einwände vorzubringen, muss dies innerhalb einer Woche, bei fristlosen Kündigungen innerhalb von 3 Tagen erfolgt sein.
- Einholen der Zustimmung des Integrationsamtes gem. § 170 Abs. 1 SGB IX
Vorausgeschickt:
Sowohl die Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung als auch die Anhörung des Betriebsrates als Arbeitnehmervertretung haben große Relevanz für die Entscheidung des Integrationsamtes. In Kenntnis der betrieblichen Umstände und Gegebenheiten enthalten sie häufig Hinweise zu eventuellen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Dies erfolgt durch schriftlichen Antrag. Versäumt der Arbeitgeber diesen wichtigen Schritt, ist die Kündigung automatisch unwirksam.
Das Integrationsamt prüft nicht das Vorliegen der allgemeinen Kündigungsvoraussetzungen, sondern vielmehr, ob und inwieweit die Kündigung durch die besonderen Leiden des Mitarbeiters bedingt ist.
Seine Entscheidung trifft das Integrationsamt nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Abwägung der gegenseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Grundsätzlich ist zu wissen, dass die persönlichen Mitarbeiterinteressen umso mehr an Interesse verlieren, sofern die Kündigung nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht.
Das Integrationsamt prüft außerdem:
- ob es einen alternativen, behindertengerechten Arbeitsplatz gibt
- ob eine Fortbildung oder Umschulung eine Weiterbeschäftigung sichern würde
- ob die Behinderung ursächlich für eine mögliche Pflichtverletzung ist
Wird eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber angestrebt, muss die Stellungnahme des Integrationsamtes innerhalb eines Monats vorliegen. Ein Zustimmungsbescheid wird dann erlassen, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Eigenschaft der Schwerbehinderung steht.
Wird eine fristlose Kündigung anvisiert, muss die Reaktion des Integrationsamtes innerhalb von 2 Wochen erfolgen.
Haben Sie eine fristlose Kündigung erhalten? Mehr zum Thema erfahren Sie in diesem Beitrag.
3. Zustimmung des Integrationsamtes - zwingend notwendig?
Es gibt Ausnahmen, in welchen die Zustimmung des Integrationsamtes nicht notwendig ist. Das betrifft folgende Fälle:
- Der Arbeitnehmer hat den Nachweis über seine Schwerbehinderteneigenschaft bis zum Zeitpunkt der Kündigung nicht erbracht. Der Arbeitgeber kann also keine Kenntnis davon besitzen, insbesondere dann nicht, wenn die Schwerbehinderung nicht offensichtlich ist.
- Ist das Fehlverhalten so massiv, dass eine fristlose Kündigung angestrebt wird und schneller Handlungsbedarf notwendig ist, entfällt die Pflicht zur Zustimmung ebenfalls.
- Die Zustimmung ist ebenfalls nicht notwendig, wenn das Arbeitsverhältnis befristet ist oder der Kündigungszeitpunkt noch in der Probezeit liegt.
- Eindeutig ist die Rechtslage, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auf eigene Initiative auflösen möchte und kündigt. Auch dann braucht keine Anhörung zu erfolgen.
4. Die besonderen Kündigungsfristen
Der Gesetzgeber hat in §622 BGB festgelegt, dass die Kündigungsfrist Schwerbehinderter ab dem 2. Jahr der Betriebszugehörigkeit verlängert wird. Hierbei soll dem besonderen Schutz Schwerbehinderter Rechnung getragen werden, denn nicht zuletzt wird die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz vergleichsweise schwieriger sein.
Bitte beachten Sie, dass anderslautende arbeits- oder tarifvertragliche Regelungen vereinbart werden können. Diese dürfen den Mitarbeiter jedoch nie schlechter stellen.
Die Betriebsgröße hat bei der Kündigung Schwerbehinderter keinen Einfluss auf die Kündigungsfristen. Auch für Kleinbetriebe gilt die verlängerte Kündigungsfrist!
5. Kündigung erhalten? - Was ist zu tun?
Sie sind schwerbehinderter Mitarbeiter und haben eine Kündigung erhalten?
Wenn Sie die Kündigung nicht akzeptieren wollen, raten wir Ihnen, kein Risiko einzugehen und einen Fachanwalt für Arbeitsrecht aufzusuchen. Im ersten Schritt können Sie Ihre Unterschrift verweigern. Sie sollten dann kein Dokument, welches mit der Kündigung im Zusammenhang steht, unterzeichnen. Erbitten Sie sich stattdessen Bedenkzeit.
Selbst wenn Sie die Kündigung rechtlich auf Einhaltung aller Anforderungen prüfen lassen wollen, müssen Sie sich unverzüglich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden, um Ihre Ansprüche zu wahren.
Durchdenken Sie eine Abfindungszahlung. Um einen etwaigen Rechtsstreit zu vermeiden ist es – auch bei der Kündigung Schwerbehinderter - üblich, Abfindungen anzubieten. Da der Schutzgedanke im Sinne des beeinträchtigten Mitarbeiters vergleichsweise höher ist, steigt auch ein etwaiges Prozessrisiko. Im Umkehrschluss ist es daher theoretisch möglich, höhere Abfindungssummen zu verlangen. Es steht sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern frei, eine solche Einigung anzustreben.
Kommt keine Einigung zustande, wird der Einzelfall durch das zuständige Arbeitsgericht geprüft.
Haben Sie eine Kündigung erhalten?
Lassen Sie diese von einem Anwalt für Arbeitsrecht auf Rechtmäßigkeit prüfen und besprechen Sie Ihre Handlungsoptionen.
6. Mitteilung der Schwerbehinderung erst nach Kündigung - Die Rechtsfolgen
Den Arbeitnehmer trifft keine Verpflichtung, seine Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung im Laufe des aktiven Arbeitsverhältnisses an seinen Arbeitgeber zu kommunizieren. Im Falle einer Kündigung fehlt dem Arbeitgeber dadurch die Kenntnis über den bestehenden Sonderkündigungsschutz.
Sie sind von einem solchen Fall betroffen? Der besondere Kündigungsschutz gilt trotzdem!
Voraussetzung ist allerdings, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung gem. §4 KSChG innerhalb 3 Wochen ab Zugang der Kündigung nachgereicht wird. Diese Frist wurde durch das BAG entgegen vorhergehender Urteile präzisiert.
Um Rechtsnachteile zu vermeiden, rate ich deshalb sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern dringend, die vorgegebenen Fristen zu beachten.
7. Der Kündigungsschutzprozess
Wenn Sie als Arbeitnehmer gegen die Kündigung vorgehen wollen, müssen Sie innerhalb von 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung Kündigungsschutzklage einreichen. Wird diese Frist versäumt, ist die Kündigung rechtswirksam.
Das zuständige Arbeitsgericht wird den Einzelfall beurteilen und entscheiden. Oftmals wird angestrebt, einen Vergleich zu erzielen, bei dem dem Arbeitnehmer eine Abfindung gegen Rückzug der Kündigungsschutzklage angeboten wird. Ob der Arbeitnehmer dieses Angebot annimmt, liegt allein in dessen Entscheidung.
Weitere Ergebnisse können die Bestätigung oder die Unwirksamkeit der Kündigung sein.
Mit Bestätigung der Kündigung durch das Arbeitsgericht endet das Arbeitsverhältnis.
Bei Unwirksamkeit hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Hierbei ist abzuwägen, wie zerrüttet die Arbeitsbeziehung ist und natürlich auch arbeitnehmerseitig, wie herausfordernd es sein kann, eine neue Beschäftigung zu finden. Im Regelfall kommt es in diesen Fällen jedoch zur Abfindungszahlung und damit zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses, obwohl die Kündigung unwirksam war.
Wenden Sie sich gerne an uns! Sie erreichen uns unter info@kern-peters.de oder 089 21 55 2286
8. Fazit
Die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers erfordert die Beachtung zahlreicher Rahmenbedingungen und einen klaren, unbedingt einzuhaltenden Prozess. Für beide Seiten, sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer, ist dieser Prozess mit hohen Risiken verbunden. Lassen Sie sich deshalb unbedingt rechtzeitig anwaltlich beraten und begleiten!
Es bleibt festzuhalten:
- Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben besonderen Kündigungsschutz
- Kündigung erfordert die Einbeziehung von Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt
- Schwerbehinderteneigenschaft muss nachgewiesen werden, um den besonderen Kündigungsschutz zu erhalten
- Fristlose Kündigung bei massivem Fehlverhalten ist trotzdem möglich
- Ebenso Kündigung bei befristeten Arbeitsverhältnissen oder innerhalb Probezeit
- Kündigungsschutzklage innerhalb von 3 Wochen möglich
- Arbeitsgericht entscheidet über Bestätigung oder Unwirksamkeit der Kündigung.
- Abfindungsangebote zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten üblich
- Aufgrund hoher Risiken, anwaltliche Beratung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer dringend empfohlen
9. FAQ: Häufig gestellte Fragen
Wann greift der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte?
Der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte greift, wenn ein Behinderungsgrad von mindestens 50 festgestellt wurde oder eine Gleichstellung vorliegt.
Welche Voraussetzungen müssen für die Kündigung von Schwerbehinderten erfüllt sein?
Die Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern erfordert neben der regulären Einzelfallprüfung die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, des Betriebsrats und das Einholen der Zustimmung des Integrationsamtes.
Ist die Zustimmung des Integrationsamtes immer zwingend notwendig?
In bestimmten Fällen, wie fehlendem Nachweis über die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung oder bei massivem Fehlverhalten, ist die Zustimmung des Integrationsamtes nicht zwingend notwendig. Auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen oder während der Probezeit entfällt diese Pflicht.
Welche besonderen Kündigungsfristen gelten für schwerbehinderte Arbeitnehmer?
Die Kündigungsfristen für schwerbehinderte Arbeitnehmer verlängern sich ab dem zweiten Jahr der Betriebszugehörigkeit gemäß §622 BGB.
Was ist zu tun, wenn man als schwerbehinderter Arbeitnehmer eine Kündigung erhalten hat?
Im Falle einer Kündigung sollten schwerbehinderte Arbeitnehmer unverzüglich einen Fachanwalt für Arbeitsrecht aufsuchen. Es wird geraten, die Unterschrift zu verweigern, Bedenkzeit zu erbitten und sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, um Ansprüche zu wahren. Auch die Möglichkeit einer Abfindungszahlung sollte in Betracht gezogen werden.
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